Die SDGs im urbanen Raum - Lokale Perspektiven für eine beschleunigte Umsetzung und Post-2030 Nachhaltigkeitsagenda
Bei der Umsetzung der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung mit den Sustainable Development Goals (SDGs) spielen Städte eine Schlüsselrolle UN-Generalsekretär António Guterres hob hervor, dass “unser Kampf um globale Nachhaltigkeit in Städten verloren oder gewonnen wird”, da Städte komplexen und großen Herausforderungen gegenüberstehen und gleichzeitig vielfältige Ressourcen besitzen, um diese innovativ zu meistern.
Welche Transformationen in Richtung Nachhaltigkeit braucht es, um die Ziele der Agenda 2030 zu erreichen?
Unter dieser Leitfrage hat Österreich im Juni 2024 den zweiten Freiwilligen Nationalen Umsetzungsbericht (FNU) (Voluntary National Review – VNR) zur Erreichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) der Vereinten Nationen veröffentlicht. Der Bericht basiert auf einem 15-monatigen Stakeholderprozess mit Vertreter*innen aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sowie einem damit einhergehenden quantitativen Analyseprozess.
Was bedeutet dies für Städte und Gemeinden, die einerseits wichtige Kapazitäten für die Umsetzung der SDGs besitzen, andererseits jedoch auch die größten Nachhaltigkeitsherausforderungen zu bewältigen haben?
In Rahmen der am 8. Juli 2024 vom Urban Sustainability Living Lab zusammen mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin organisierten Podiumsdiskussion „Die SDGs im lokalen Raum: Lokale Perspektiven für eine beschleunigte Umsetzung und Post-2030 Nachhaltigkeitsagenda“, wurde diese Frage anhand von drei Kernthemen aufgegriffen.
Die Trends zur Erreichung der 17 SDGs und 169 Unterziele wurden hierbei nicht nur einzeln bewertet, sondern in ihrer Wechselwirkung durch drei strategische Themenfelder/Fragen aufgegriffen: Was bedeutet der Leitsatz „leave no one behind“ (niemanden zurücklassen) für die Transformation in Zeiten multipler Krisen? Welche (neuen) Nachhaltigkeitskompetenzen und Skills brauchen wir auf dem Arbeitsmarkt und wie kann die (Aus-)Bildungspolitik diese steuern? Wie kann der Klima- und Umweltschutz beschleunigt und verstärkt werden, um ein Leben innerhalb der planetaren Grenzen zu ermöglichen?
Der FNU macht deutlich, dass Österreich aufgrund einer umfassenden statistischen Datengrundlage eine Vorreiterrolle für detaillierte Analysen und das Monitoring der Nachhaltigkeitsindikatoren einnimmt. Dabei kann durch die lange Geschichte des Wohlfahrtsstaats auch auf fundierte (soziale, ökonomisch, institutionelle) Grundlagen zurückgegriffen werden, auf denen wiederum vielseitige Nachhaltigkeitsprojekte aufbauen. Die Wirkungsfolgenanalyse dieser zahlreichen innovativen Projekte sowie die Umsetzung der globalen Verantwortung und Solidarität Österreichs bleiben allerdings unterbelichtet.
So liegt Österreich im kritisch zu betrachtenden Sustainable Development Report Ranking global auf Platz 6 in der Erreichung der Ziele im eigenen Land, wobei sich 14.9% der Indikatoren – beispielsweise im Bereich Gleichberechtigung (SGD 5) und Flächeninanspruchnahme und Versiegelungsgrad (SDG 11) im Zeitraum 2010-2022 negativ entwickelt haben, zwei Ziele (SDG 1 und 7) jedoch bereits vollständig erreicht wurden. Bei Betrachtung des internationalen Impacts, also der globalen Verantwortung, liegt Österreich allerdings auf Platz 152 von 167.
Globale Agenden wie die Agenda 2030 mit den SDGs brauchen fundierte Übersetzungsarbeit, um von Städten und Gemeinden umgesetzt werden zu können. Hierbei stellen sich aus Sicht der lokalen Akteur*innen zumindest zwei zentrale Fragen: 1. Inwiefern lassen sich „neue“ Ziele in bestehende Prozesse und Maßnahmen integrieren und wo braucht es neue Prozesse und Maßnahmen? 2. Worin liegt der Mehrwehrt der SDGs im Vergleich zu bestehenden Nachhaltigkeitsverständnissen und -agenden?
Für die Gemeindearbeit betonte Dalilah Pichler vom Zentrum für Verwaltungsforschung (KDZ) einerseits die Notwendigkeit niederschwelliger Tools (die über Leitfäden hinausgehen), welche in den Alltag unterschiedlicher Abteilungen einfließen und zur Anwendung kommen sollten. Andererseits hob sie die Notwendigkeit hervor, besonders in kleineren Städten zusätzliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen, damit diese überhaupt an Angebote wie Fördermittel zur SDG-Umsetzung anknüpfen können. Einen Mehrwert lokalisierte sie vor allem im integrierten und holistischen Nachhaltigkeitsverständnis der SDGs. Klaus Reuter von der LAG 21 NRW ergänzte hierzu, dass Nachhaltigkeitsagenden nicht nur von der globalen auf die kommunale Ebene übersetzt werden müssen, sondern es insbesondere kooperative Planungsverfahren braucht, um die Beiträge der Gemeinden zur Zielerreichung zu stärken. Dies beinhaltet eine strategische Verankerung kommunaler Ziele und kann zudem über Instrumente wie den kommunalen Nachhaltigkeitshaushalt, welcher Planung, wirkungsorientierte, strategische und operative Steuerung, und Berichtslegung sowie Evaluierung in die Gemeindearbeit integriert, unterstützt werden.
Wo liegt jedoch die Kohärenz des eigenen Handelns in Städten mit dessen Auswirkungen im globalen Kontext? Zur statistischen Beantwortung dieser Frage fehlen noch die geeigneten Methoden und Daten, so Alexandra Wegscheider-Pichler von der Statistik Austria. Allerdings betont sie, dass der 2. FNU im Gegensatz zur Vorgängerversion bereits den Fortschritt bringt, dass diesbezügliche Datenlücken explizit ausgewiesen werden. Weiters ortet Lukas Wank von der AG Globale Verantwortung ein verstärktes Bewusstsein zu globalen Interdependenzen und Spillovers, also den Auswirkungen des Handelns in Österreich auf andere Länder/Städte, beispielsweise in der Diskussion um Lieferketten. Strukturelle Herausforderungen in Österreich, wie zum Beispiel die sektorielle Verankerung der Themen Internationales und Entwicklungszusammenarbeit alleinig im Außenministerium, oder die fehlende Berücksichtigung von Urbanisierungtrends in der jetzigen Austrian Development Agency (ADA)-Strategie, wurden in der anschließenden Diskussion mit dem Publikum eingebracht.
Die Frage der Zielerreichung brachte eine Diskussion über strategische Rahmen und Indikatoren sowie deren Relevanz für die nachhaltige Stadtentwicklung mit sich, wobei hier Unterschiede in den Ansätzen und Prioritäten zwischen deutschen Städten und der Stadt Wien ersichtlich wurden. Wien verfolgt mit der im Jahr 2022 neu aufgelegten Smart Klima City Strategie (ehemals Smart City Wien Rahmenstrategie), in welche die 17 SDGs integriert wurden, eine Stadtentwicklung in den Dimensionen Lebensqualität, Ressourcenschonung und Innovation anhand von 11 Zielbereichen mit 74 Zielen. Die Stadt verfolgt einen „Maßnahmen zuerst“ – Ansatz, in welchem zur Zielerreichung Maßnahmen über ausgewählte Nachhaltigkeitsprojekte priorisiert werden. Laut Alena Sirka-Bred von der Gruppe Europa und Internationales für die Stadt Wien stellen die SDGs bei diesem Ansatz einen Mehrwert für die Vergleichbarkeit mit anderen Städten und Gemeinden, für das Navigieren von Zielkonflikten, sowie für die Kommunikation mit NROs und der Zivilgesellschaft dar. Klaus Reuter sieht in diesem Kontext drei wesentliche Unterschiede zu Städten Nordrhein-Westfalens, in denen Strategien zur Implementierung der SDGs erarbeitet wurden: die dezidierte Entwicklung von sowohl Nachhaltigkeits- als auch Klimastrategien sowie die explizite Benennung und Ausrichtung an den SDGs und nicht dem Leitbild einer Smart City. Dies können Gründe dafür sein, dass zahlreiche deutsche Städte auf der Grundlage ihrer Nachhaltigkeitsstrategien bereits Freiwillige Lokale Berichte (Voluntary Local Reviews) zum Stand der Umsetzung der SDGs bei den Vereinten Nationen veröffentlicht haben, welche als Mehrwert für die standardisierte Bestandserhebung und Strategieentwicklung auf internationaler Ebene gesehen werden.
Die Post-2030 Nachhaltigkeitsagenda
In der Abschlussfrage nach der Post-2030 Nachhaltigkeitsagenda waren sich die Podiumsteilnehmenden einig: die SDGs haben vielfältige Prozesse und Projekte in Gang gesetzt, sowie neues Wissen und Methoden in der Forschung und Praxis generiert, auf denen – trotz mangelnden Fortschritts und einiger Rückschritte in der Zielerreichung – in Zukunft aufgebaut werden muss. Jedoch riefen sie auch den Titel der Agenda 2030 in Erinnerung, “Transforming our world”. Diese Transformation – in einer ernstzunehmenden Partnerschaft einer globalen Gesellschaft und mit führender Rolle der Städte und Gemeinden – braucht tiefgreifende politische und strukturelle Veränderungen sowie klare Strategien, Maßnahmen und ein transparentes Monitoring, um komplexen Herausforderungen wie dem Klimawandel und rasant voranschreitenden Veränderungen wie der Entwicklung von künstlicher Intelligenz, erfolgreich begegnen zu können.
Wir danken allen Podiumsgästen und dem Publikum für die kritische und konstruktive Diskussion.
Eine Videozusammenfassung der Diskussion mit Ideen für weitere Zusammenarbeit mit der Wissenschaft, finden Sie hier hier auf Youtube.
Weiterführende Links
Podium:
Dalilah Pichler ist seit 2019 als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Beraterin für Public Management beim KDZ – Zentrum für Verwaltungsforschung tätig. Sie hat Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien sowie Public Governance an der Erasmus Universität Rotterdam studiert. Ihre aktuellen Arbeitsschwerpunkte umfassen die Organisationsentwicklung und Haushaltsanalyse in Gemeinden, Studien zur Finanzierung der Daseinsvorsorge und die Entwicklung von Tools zur Umsetzung der SDGs auf kommunaler Ebene. Besonderes Augenmerk legt sie dabei auf die Verknüpfung von Nachhaltigkeitszielen und Gemeindebudgets.
Dr. Klaus Reuter ist geschäftsführender Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft Agenda 21 NRW (LAG 21 NRW). Mit seinem Fachwissen als promovierter Biologe und ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter einer Bundestagsabgeordneten formt er seit über 20 Jahren seine Expertise im Bereich der Nachhaltigkeit durch Praxis- und Forschungsarbeit. Ein besonderer Fokus seiner Arbeit liegt auf dem Transfer internationaler Nachhaltigkeitsziele auf die kommunale Ebene sowie die Entwicklung und Anwendung von wirkungsorientierten Werkzeugen für die Umsetzung eines kommunalen Nachhaltigkeitsmanagements. Seit 2015 leitet er zudem als Konsortialführer die Regionale Netzstelle Nachhaltigkeitsstrategien West (RENN.west), ein Netzwerk des Rates für Nachhaltige Entwicklung.
Mag. Alena Sirka-Bred ist die Leiterin der Gruppe Europa und Internationales in der Magistratsdirektion der Stadt Wien. Sie hat einen Universitätsabschluss in Rechtswissenschaften und ist seit 1997 Mitarbeiterin der Wiener Stadtverwaltung:
- seit 02/2017 Magistratsdirektion der Stadt Wien, Leiterin der Gruppe für Europa und Internationales
- seit 2007 Leiterin der Magistratsabteilung 26 – zuständig für verschiedene Rechtsangelegenheiten (u.a. Datenschutz, Informationsrecht, Standesämter)
- seit 2003 Magistratsdirektion der Stadt Wien, Präsidialabteilung
Mag. Lukas Wank übernahm im April 2023 die Geschäftsführung des entwicklungspolitischen Dachverbands AG Globale Verantwortung, die Teil der Steuerungsgruppe von SDG Watch Austria ist. Seine Expertise an der Schnittstelle von Entwicklungs-, Friedens- und Sicherheitspolitik beruht unter anderem auf seinen Erfahrungen als ehemaliger stellvertretender Direktor des Austrian Centre for Peace in Schlaining, Gründer eines non-profit Think-and-Do-Tanks sowie als politischer Berater, Analyst und Policy-Officer in internationalen Kontexten. Lukas Wank leitete eine humanitäre Operation in Libyen, war politischer Berater im Rahmen der europäischen Friedensbemühungen in Bosnien und Herzegowina und erhielt zahlreiche internationale Fellowships für seine Arbeit.
Mag. Alexandra Wegscheider-Pichler ist in der Bundesanstalt Statistik Österreich als Senior-Referentin und SDG-Koordinatorin im Bereich Soziales & Lebensbedingungen der Direktion Bevölkerung beschäftigt, wo sie unter anderem das Projekt zur UN Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals) leitet. Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt in der Nachhaltigkeitsforschung, speziell bei den Themen Beyond-GDP und UN Agenda 2030. Dazu ist sie auch in internationalen Arbeitsgruppen wie der UNECE Expert Group on Statistics for SDGs oder der Eurostat WG für Nachhaltigkeitsindikatoren tätig.
Moderation:
Kerstin Krellenberg ist Professorin für Urban Studies am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien. Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt im Bereich der Stadtforschung, mit einem Fokus auf urbanen Nachhaltigkeitstransformationen, urbaner Vulnerabilität und urbaner Anpassung. Ihre Forschung adressiert dabei insbesondere den globalen Umweltwandel, den digitalen Wandel und die Auswirkungen auf sowie die Herausforderungen und die Chancen für die Städte. Kerstin Krellenberg arbeitet sowohl konzeptionell als auch empirisch, um Theorie und Praxis für nachhaltige Transformationen von Städten besser miteinander zu verbinden. Ihr Ziel ist es, durch eine inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit integrative Lösungsansätze zu entwickeln, die zum Beispiel die Interaktion der UN Sustainability Development Goals (SDGs) oder die sozio-ökologisch-technischen Wechselwirkungen in den Städten adressieren. Sie hat Umweltwissenschaften studiert und in Geographie an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert sowie an der Universität Leipzig habilitiert. Ihr regionalgeographischer Schwerpunkt liegt seit vielen Jahren in Lateinamerika und seit einiger Zeit auch in der Türkei. An der Universität Wien ist sie unter anderem Climate Chair der CircleU. Allianz und Mitglied des Environment and Climate Research Hub.
Florian Koch ist Professor für Immobilienwirtschaft, Stadtentwicklung und Smart Cities an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW Berlin). Er analysiert, wie digitale, smarte Technologien und soziale Inovationen zu einer nachhaltigen Entwicklung in Städten beitragen können. Er ist Sprecher des HTW-Forschungscluster “Sustainable Smart Cities” und Gastwissenschaftler am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH Leipzig, Department für Stadt- und Umweltsoziologie. Gemeinsam mit Kerstin Krellenberg publizierte er 2021 das Buch “Nachhaltige Stadtentwicklung. Die Umsetzung der Sustainable Development Goals auf kommunaler Ebene”.
Organisationskomitee:
Kerstin Krellenberg, Universität Wien, kerstin.krellenberg@univie.ac.at
Julia Wesely, Universität Wien, julia.wesely@univie.ac.at
Sarah Beyer, HTW Berlin, sarah.beyer@htw-berlin.de
Florian Koch, HTW Berlin, florian.koch@htw-berlin.de
Für Fragen kontaktieren Sie Julia Wesely: julia.wesely@univie.ac.at