4CITIES-Exkursion nach Ljubljana - Regenerierung und Neuerfindung von Städten

Was können Städte von Ljubljanas Ansatz zur Stadterneuerung lernen?

Ljubljana, die Hauptstadt Sloweniens, ist eingebettet in eine reiche Geschichte zwischen Habsburgern und Realsozialismus und erfuhr in den letzten 15 bis 20 Jahren eine umfassende und rasche Stadterneuerung. Die üppig begrünte Stadt mit rund 300.000 Einwohnern kombiniert ein autofreies Zentrum mit einer umfangreichen, sicheren Fahrradinfrastruktur.

Im Jahr 2016 erhielt die Stadt die Auszeichnung “European Green Capital” aufgrund ihres ganzheitlichen Ansatzes zur Integration von Grünflächen und nachhaltiger Infrastruktur, die den Tourismus und die Lebensqualität insgesamt verbessert hat. Dementsprechend war die 4CITIES-Exkursion nach Ljubljana vom 04. bis 07. Mai 2023 darauf ausgerichtet, die Erneuerung und Neuerfindung der Stadt zu erkunden, was zu einer aufschlussreichen und inspirierenden Erfahrung führte, die eine Reihe von Lernmöglichkeiten für alle 36 4CITIES-Studierenden beinhaltete.

Tag 1: Die Geschichte und die Gegenwart

Die Exkursion begann mit einer dreistündigen Führung durch das Stadtzentrum, bei der die Studierenden einen allgemeinen Überblick über die Stadt sowie Informationen über Ljubljana und die Geschichte Sloweniens erhielten. Auf diese Weise verfügten wir über ausreichend Hintergrundinformationen, um die aktuellen Prozesse und Probleme der Stadt mit ihrer Geschichte in Verbindung zu bringen. Der Tourleiter gab uns auch die Meinung eines Einwohners über den übermäßigen Tourismus in Ljubljana mit auf den Weg, der das Verschwinden der Grünflächen auf die jüngste Bautätigkeit in den Grünzonen der Stadt zurückführte und damit die ständige Auseinandersetzung zwischen öffentlichen und privaten Interessen verdeutlichte.

Photo 1: Start of the three-hour inner-city tour at Prešeren Square (©Thurner, 2023)
Photo 1: Start of the three-hour inner-city tour at Prešeren Square (©Thurner, 2023)

Tag 2: Über grüne Städte, aktiven Schulverkehr und Hausbesetzungen

Der erste volle Tag der Exkursion begann früh am Morgen mit einem Besuch des Rathauses von Ljubljana. Simona Berden begrüßte uns und schaffte einen Überblick über die aktuellen Entwicklungsprojekte in der Stadt und ab uns Informationen über das Rathausgebäude selbst. Anschließend wurden wir in den historischen Plenarsaal geführt, wo wir mehr über die Bemühungen der Stadt erfuhren, Ljubljana nachhaltiger zu gestalten. Dazu gehören mobilitätsbezogene Verbesserungen wie die Einrichtung eines gut genutzten öffentlichen Fahrrad-Sharing-Systems (“BicikeLJ”), elektrische Kleinbusse, die den öffentlichen Nahverkehr im Stadtzentrum kostenlos anbieten (“Kavalir”), die Beruhigung der stark befahrenen Slovenska-Straße durch die Umwandlung dieser in einen gemeinsam genützten öffentlichen Raum und die Schaffung eines autofreien Stadtzentrums. Darüber hinaus wurden verschiedene Projekte durchgeführt, die die Förderung urbaner Landwirtschaft zum Ziel hatten, von der städtischen Bienenzucht bis hin zu Kleingärten und verschiedenen öffentlichen Parks. Der von Frau Berden festgestellte starke gesellschaftliche Widerstand gegen die Einschränkung des Autoverkehrs, zeigte Parallelen zu Wien auf.

Photo 2: Sitting in the historic plenary hall of Ljubljana’s town hall while Simona Berden is giving a lecture on Lubljana's efforts in becoming the European Green Capital of 2016 (©Thurner, 2023)
Photo 2: Sitting in the historic plenary hall of Ljubljana’s town hall while Simona Berden is giving a lecture on Lubljana's efforts in becoming the European Green Capital of 2016 (©Thurner, 2023)

Der Tag wurde mit einem Vortrag von Maja Simoneti vom Institute for Spatial Policies(IPoP) fortgesetzt, einer NRO, die sich mit der Entwicklung nachhaltiger städtischer Gemeinschaften beschäftigt. Sie erzählte uns über ein Projekt für ‘gesunde Städte’, bei dem der aktive Schulweg im Vordergrund stand. Es wurde vom slowenischen Gesundheitsministerium als Maßnahme gegen Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen finanziert. In direkter Zusammenarbeit mit Schulkindern wurden verschiedene Ansätze zur Förderung des Schulwegs zu Fuß und mit dem Fahrrad entwickelt und in Pilotprojekten getestet.

Aus den anfänglich umgesetzten Bussen für Fußgänger und Radfahrer wurden umfassendere Pläne zur Erreichbarkeit der Umgebung zu Fuß samt sogenannter Kiss-and-Ride-Zonen. Dieses Projekt war ein Beispiel dafür, wie fruchtbar die Beteiligung von Kindern an der Stadtentwicklung und -planung sein kann und dass es oft Zeit und mehrere Anläufe braucht, um eine kontextuell verwurzelte, praktikable und gesellschaftlich getragene nachhaltige Lösung zu entwickeln.

Domen Žalac, Doktorand der Raumsoziologie an der Universität von Ljubljana, hatte ein dichtes Programm für unseren Nachmittag vorbereitet, bei dem wir die touristischen Pfade verließen und Viertel erkundeten, die durch unterschiedliche Epochen und Funktionen gekennzeichnet waren. Wir erfuhren etwas über die unscharfe Trennung zwischen dem ländlichen und dem städtischen Slowenien und die lange Geschichte der urbanen Landwirtschaft. Wir sahen mittelalterliche, moderne, sozialistische und postmoderne Gebäude, von denen einige touristisch genutzt werden, sowie darüber hinaus Studierendenwohnungen. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf autonomen Zonen und Hausbesetzungen. In Metelkova, einer ehemaligen Militärkaserne, die seit 30 Jahren besetzt ist, wurden wir im anarchistischen Infozentrum empfangen und erfuhren nicht nur etwas über seine Geschichte, sondern auch über die verschiedenen Probleme bei Betrieb und Instandhaltung.

Photo 3: Domen Žalac pointing out post-modern houses along a touristified street next to Gradaščica river. A socialist block is visible behind. (©Thurner, 2023)
Photo 3: Domen Žalac pointing out post-modern houses along a touristified street next to Gradaščica river. A socialist block is visible behind. (©Thurner, 2023)

PLAC, eine ehemalige Betriebskantine in Bežigrad, ist erst seit September letzten Jahres besetzt und fungiert als vielfältiger sozialer und kultureller Raum, in dem z. B. Jazz, Karaoke-Abende und Filmvorführungen stattfinden, Kinder ihren Geburtstag feiern oder Menschen an kostenlosen Kampfsporttraining teilnehmen können.

PLAC soll keine Alternative zur Gesellschaft darstellen, sondern vielmehr entlang der tatsächlichen Werte der Gesellschaft wahrgenommen werden, so einer ihrer Aktivisten. Der offizielle Teil des Tages endete mit einer Diskussion über den Platz der Hausbesetzer im kapitalistischen System und ihre Abhängigkeit von der Schenkökonomie.

Tag 3: Taktischer Urbanismus und kulturelles Erbe

Unser Vormittag drehte sich um die Bemühungen von Prostorož, die Aufenthaltsqualität rund um das Universitätsklinikum von Ljubljana zu verbessern. Das gemeinnützige Stadtplanungsbüro verfolgt einen taktischen Urbanismus-Ansatz zur Verbesserung der Qualität öffentlicher Räume. Durch die ‘participatory mapping’ von Brennpunkten in Ljubljana wurde deutlich, dass im Bereich des Klinikums Maßnahmen ergriffen werden sollten.

Photo 4: Talking about the value of money and the squats’ place in the capitalist system with an activist at PLAC (©Thurner, 2023)
Photo 4: Talking about the value of money and the squats’ place in the capitalist system with an activist at PLAC (©Thurner, 2023)

Nach Beobachtungen der verschiedenen Nutzer*innen des Raums – Personal, stationäre und ambulante Patienten – wurden 20 Bänke aufgestellt. Eine kurze Online-Umfrage ergab, dass die Bänke bleiben sollten, bevor Workshops und Interviews mehr Aufschluss über die Wünsche der Menschen gaben, die für die Neugestaltung des Bereichs relevant sind. Die Ausführungen von Alenka Korenjak zum Projekt schärften das Bewusstsein für die langwierige Entwicklung des Projekts und vermittelten gleichzeitig Einblicke in die umfassenden (Hintergrund-)Informationen, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass die spezifischen Anforderungen, die sich aus den kontextuellen Details ergeben, in die Initiative einbezogen werden.

Der Nachmittag wurde mit einem Spaziergang bzw. einer Seilbahnfahrt zur Burg von Ljubljana verbracht, wo man einige Sehenswürdigkeiten besichtigen und einen atemberaubenden Überblick über die Stadt gewinnen konnte, bevor Matevž Straus, selbst ein 4CITIES-Absolvent, seine Sichtweise der Erneuerung von Idrija, seiner Heimatstadt mit 7000 Einwohnern, etwa eine Stunde östlich von Ljubljana, darlegte. Die Geschichte der Stadt ist geprägt von der Quecksilbergewinnung und -verarbeitung. Nach der Schließung der Minen in den 1990er Jahren konnten die Menschen in anderen Fabriken der Stadt, die während des sozialistischen Regimes gegründet wurden, Arbeit finden. Dennoch verliert die Stadt an Bevölkerung, wie 52 % aller slowenischen Städte seit 2011.

In dem Bestreben, die Stadt wiederzubeleben und besser auf die Jugend einzugehen, initiierte er die Vereinigung Idrija 2020, die nach einer eingehenden Analyse der Stadt unter sozialen, politischen und architektonischen Gesichtspunkten 60 mögliche Maßnahmen vorschlug. Daraus entstand ID20, das sich hauptsächlich mit dem kulturellen Erbe befasst und seinerseits Veranstaltungen wie das Festival der Industriekultur in Idrija und “Heritagehack”, einen Hackathon zum kulturellen Erbe, ins Leben gerufen hat.

Photo 5: Apartments with accompanying urban gardens built with the railway company's surplus in the 1930s (©Thurner, 2023)
Photo 5: Apartments with accompanying urban gardens built with the railway company's surplus in the 1930s (©Thurner, 2023)

Matevž zeigte uns die andere Seite der Medaille, wo Städte und Gemeinden eher gegen den Bevölkerungsschwund als gegen das Wachstum kämpfen, und ermutigte uns, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, wenn wir unsere Heimatstädte voranbringen wollen.

Photo 6: Prostorož opened up the closed smokers' pavilion next to the University clinical center and installed new benches to provide an inviting roofed place for sitting outside (©Thurner, 2023)
Photo 6: Prostorož opened up the closed smokers' pavilion next to the University clinical center and installed new benches to provide an inviting roofed place for sitting outside (©Thurner, 2023)
Learning about remodeling ideas for an old miner's house in Idrija by Matevž Straus (©Thurner, 2023)
Learning about remodeling ideas for an old miner's house in Idrija by Matevž Straus (©Thurner, 2023)

Tag 4: Die Stadt aus anderen Perspektiven: Graffiti und LGBTQ+

Den Abschluss der Exkursion bildete eine von Katja Pavlič geführte Tour durch die Straßenkunst der Stadt. Sie stellte uns die verschiedenen Graffiti-Formen und ihre Geschichte in Ljubljana vor und erläuterte die unterschiedlichen Begriffe der Street Art und ihre blühende Vielfalt. Die Tour bot auch Einblicke in den moralischen Kodex der Graffiti-Szene. Demgegenüber, entschieden sich einige Studierende für eine Tour über die LGBTQ+-Bewegung, ihre wichtigen Orte und Kämpfe vor und während des Sozialismus sowie aktuelle LGBTQ+-freundliche Veranstaltungsorte, die von einem langjährigen Aktivisten geleitet wurde.

Geleitet von 4CITIES-Dozent Josh Grigsby und unterstützt von Studienassistentin Julia Thurner, stellt diese Exkursion einen der Höhepunkte im Wiener Semester dar. Wir möchten allen Experten für ihre interessanten und zum Nachdenken anregenden Beiträge danken. Alle 36 4CITIES-Studierenden genossen die Stadt, und die Exkursion brachte nicht nur diese Kohorte von Urban Studies-Studierenden näher zusammen, wir alle verließen die Stadt darüber hinaus inspiriert von neuen Ideen.

Artikel von Julia Thurner, Studienassistentin der Arbeitsgruppe Urban Studies.

“Kavalir” (electric micro busses) driving through the streets and the distinct bicycle stencil, a political graffiti used as symbol for protests against then prime minister Janez Janša (©Thurner, 2023)
“Kavalir” (electric micro busses) driving through the streets and the distinct bicycle stencil, a political graffiti used as symbol for protests against then prime minister Janez Janša (©Thurner, 2023)

Überblick über die Stadtentwicklung

Die Stadt bietet eine interessante architektonische Mischung, da verschiedene Epochen, Herrschaften, Ereignisse und Personen ihre Spuren hinterlassen und die Stadt geprägt haben. Zunächst mit Stelzenhäusern (Pfahlbauten) besiedelt, wurde vor 5.000 Jahren, nachdem Sümpfe trockengelegt worden waren, eine römische Siedlung errichtet, die auf die Nähe zu einem großen See zurückzuführen ist. Mittelalterliche Überreste finden sich noch immer im Stadtteil Krakovo und sind mit der Burg von Ljubljana, die die Stadt überragt, allgegenwärtig. Im Zentrum befinden sich zahlreiche Barockgebäude und Jugendstilhäuser, die nach einem schweren Erdbeben im Jahr 1895 errichtet wurden.

 

Doch während nur wenige Epochen einen so erstaunlichen architektonischen Einfluss hatten wie die Habsburger Monarchie, prägte Jože Plečnik, ein slowenischer Schüler Otto Wagners, die Stadt wie kein anderer. Jože hat repräsentative öffentliche Plätze und Gebäude (z. B. die Dreifachbrücke, den Markt, die Nationalbibliothek und den Kongressplatz), die die Entwicklung Ljubljanas von einer Kleinstadt zur Hauptstadt einer neuen Nation im20. Jahrhundert unterstützten, neu gestaltet und konzipiert. Seine Werke gelten heute als UNESCO-Welterbe für ihre auf den Menschen ausgerichtete Stadtgestaltung. Da Slowenien mehrere Jahrzehnte lang zu Jugoslawien gehörte, sind sozialistische Gebäude überall in der Stadt zu finden. Nach dem Beitritt Sloweniens zur EU im Jahr 2004 hat die Stadt einen umfassenden und von der Natur inspirierten Prozess der raschen Stadterneuerung durchlaufen, für den sie 2016 die Auszeichnung “Grüne Hauptstadt Europas” erhielt.