Beitrag von David Hees, Arthur Klingl und Greta Gabsch
Das Radfahren als die Mobilitätsform der Zukunft? Woher kommt diese Vision und wie kann diese realisiert werden? Drei Studierende des Masterstudiengangs 4CITIES berichten über ihre Eindrücke bei der Velo-City-Konferenz vom 14. bis 17. Juni 2022 in Ljubljana.
Seit 1980 findet jedes Jahr in einer anderen Stadt auf der Welt die Velo-City-Konferenz statt. Sie gehört zu einer der größten Mobilitätsmessen weltweit und ist auch eines der größten Veranstaltungsprojekte der European Cyclists‘ Federation (ECF). Bei dieser treffen jährlich Fahrrad-Advokat*innen, Vertreter*innen von Städten, Entscheidungsträger*innen, Akademiker*innen, Forscher*innen und Branchenführer*innen aufeinander, um die Zukunft des Radfahrens zu gestalten. Die Vision, welche alle vereint, ist das Fahrrad weltweit als nachhaltige und gleichzeitig gesunde Mobilitätsform zu fördern. Als Austragungsort für die diesjährige Konferenz wurde Ljubljana im Herzen Sloweniens auserkoren. Nicht ohne Grund, denn die Stadt hat in den letzten Jahren eine beeindruckende Transformation zu einer fahrradfreundlichen Stadt hingelegt.
Durch den Newsletter der Fachschaft Raumplanung an der TU Wien haben wir von der Möglichkeit erfahren, mit Unterstützung von klimaaktiv mobil Tickets für diese Konferenz zu gewinnen. Warum nicht versuchen – haben wir uns gedacht, uns die Chancen auf die Tickets jedoch als sehr gering ausgemalt. Als Wettbewerbsbeitrag haben wir zu dritt ein Ideenpapier verfasst, wie unsere ideale fahrradfreundlichere Stadt aussehen könnte. Die Grundlage hierfür bildeten unsere gesammelten Erfahrungen aus der dieses Jahr erstmals durchgeführten Spring School im Rahmen unseres Masterstudiengangs 4CITIES (mehr dazu hier). Letztendlich haben unsere Ideen überzeugt und die Zusage für drei Konferenztickets kam einige Tage später.
Für uns sollte das die erste Konferenzerfahrung mit fachlichem Bezug werden. Obwohl wir bereits viele Informationen im Vorab erhalten hatten, konnten wir uns den Ablauf, die unterschiedlichen Formate und die gesamte Atmosphäre noch nicht ganz vorstellen. Umso größer war unsere Vorfreude auf die viertägige Konferenz. Den Auftakt bildeten einige Willkommensreden, u.a. vom Bürgermeister Ljubljanas, und ebenfalls eine spannende Diskussionsrunde, bei welchem auch der bekannte Architekt und Stadtplaner Jan Gehl teilnahm. Sein Zitat „Can bicycle activism save the world? Yes, I‘ve seen it done and I‘ve seen wonderful results for the world“ begeisterte alle und sorgte für einen optimistischen Start in die Konferenztage. Zwischen diesen großen Diskussionsrunden zu Beginn und Ende jedes Tages, fanden parallel zueinander verschiedene kleinere Vorträge und Diskussionen statt. Dabei stand jeden Tag ein anderes Thema im Fokus, u.a. “Rethinking Urban Space”, “Citizens, Stakeholders and Community”, “Policies for more Cycling” und einige weitere. Wer mehr über die vielfältigen Inhalte und Vorträge erfahren möchte, kann einen Großteil der Präsentationen auch hier online nachschlagen. Außerdem gab es auch eine umfangreiche Ausstellung in der gesamten Haupthalle, bei welcher Organisationen, Städte und Firmen ihre Projekte vorstellten.
Einer der großartigsten Aspekte der gesamten Zeit war die Vielfalt der Teilnehmenden. Nicht nur stammten diese aus allen Ecken der Welt – von Brasilien bis Taiwan – sondern befanden sich auf ganz unterschiedlichen Stufen ihrer Karriere und somit auch in verschiedenen Altersgruppen. So präsentierte und diskutierte nicht nur der Chairman und CEO von JCDecaux (eines der größten Außenwerbungsunternehmen der Welt, welches u.a. Leihradsysteme in Städten als Public Private Partnerships realisiert), sondern ebenso eine junge finnische Universitätsabsolventin, welche die Ergebnisse ihrer Masterarbeit vorstellte. Diese ganz unterschiedlichen Perspektiven haben die Themenblöcke nicht nur inhaltlich bereichert, sondern auch sichergestellt, dass Aspekte, welche für Jung und Alt von Relevanz sind, thematisiert wurden.
Nach diesen aufregenden ersten Tagen stand das erste Highlight der Konferenz vor der Tür: die große Bike-Parade. Diese startete direkt vor den Türen des Konferenzgeländes und führt einmal durch die ganz unterschiedlichen Ecken der Stadt. Teilgenommen haben viele hunderte Teilnehmende der Konferenz, aber ebenso Bewohner:innen der Stadt Ljubljana. Gemeinsam wurde (für einige zum ersten Mal) die teilweise nagelneue Fahrradinfrastruktur der Stadt getestet, der Sonnenuntergang genossen und gemeinsam für einige überraschte Gesichter bei Autofahrenden gesorgt.
Das zweite Highlight stelle das große Networking Dinner im Innenhof der Burg über den Häusern der Stadt dar. Nach anfänglichem Regen, wurde aber auch das Wetter und die Stimmung besser. Bis dahin waren wir in der Annahme, niemanden der Teilnehmenden zu kennen. Dies wurden wir eines Besseren belehrt als wir mit vier Brasilianerinnen an einem Tisch aßen, welche sich als ehemalige Arbeitskolleginnen einer Kommilitonin von uns herausstellten. So begann das Networking an diesem Abend. Eine weitere besondere Überraschung an diesem Abend war die Vergabe des ECF Awards für Road Safety, welcher in diesem Jahr an die Stadt Brüssel ging. Im letzten Jahr hat die Stadt durch das Einführen eines allgemeinen Tempolimits von 30 km/h zu einer Reduzierung der Verkehrstoten um 50 Prozent beigetragen. Weshalb war das für uns eine besondere Überraschung? Im Rahmen unseres Masters verbrachten wir alle gemeinsam das erste Semester in Brüssel und haben dort ebenso gemeinsam unsere Fahrrad-Erfahrungen gesammelt (welche wir in nun in unserem Semester in Wien etwas hinterhertrauern). An dieser Stelle also liebe Grüße und herzlichen Glückwunsch nach Brüssel!
Was haben wir aus dieser intensiven ersten Konferenz mitgenommen, inhaltlich als auch persönlich? Unglaublich viel, so viel, dass es sich hier nicht zusammenfassen lässt. Dennoch wollen wir einige wichtige Insights kurz aufzählen:
- Jede Stadt und jedes Land ist auf einem ganz unterschiedlichen Level bezüglich der Mobilitätsbedürfnisse als auch -realität, deshalb existieren ganz unterschiedliche Wege für eine Veränderung
- Maßnahmen für eine echte Transformation müssen folgende drei Aspekte einbeziehen: technische Eigenschaften (Fahrräder), Fahrradinfrastruktur und die Kultur des Fahrradfahrens
- Mobilität ist auch eine Frage der Gerechtigkeit: Wieviel Geld und Fläche wird der Fahrradmobilität im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln zur Verfügung gestellt?
- Ein weiteres Zitat von Jan Gehl: „Bicycling is sometimes about traffic from A to B. But it is always about people.”
- Für Veränderungen sollte man Hindernisse als positiven Ausgangspunkt nehmen
- Fahrradfahren sollte allen Spaß machen
- Um das Verhalten von Menschen zu ändern, müssen sie zunächst verstehen, was sie denken und warum sie so denken und müssen erkennen, dass sie ihr Verhalten ändern können und welche Vorteile das hat
- Es ist wichtig den Menschen zu erklären, dass sie nicht darauf warten müssen, dass die Regierung etwas tut, sondern dass sie auch ihre eigenen Mittel nutzen können, wenn die Regierung nichts tut
- Um städtischen Verkehr besser und sicherer zu machen sind Elektroautos keine Alleinlösung, da auch sie immer noch gefährlich & und schädlich sind
Insgesamt haben wir in den vier Tagen das Gefühl bekommen, dass Hoffnung besteht. Menschen auf der ganzen Welt versuchen, den derzeitigen Status quo der Stadtgestaltung zu verändern und etwas Gutes für den Planeten und die Menschen zu tun. Wir sind gespannt, welche Themen und Ideen bei der nächsten Velo-city-Konferenz 2023 in Leipzig im Fokus stehen werden.