Klimawandelanpassung und Demokratie in Wien

Vom 3. bis 6. Juni fand der erste Teil der vergleichenden Exkursion „Demokratie und Klimawandelanpassung in Berlin und Wien“ des Instituts für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien in Kollaboration mit dem Geografischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin (HU-B) statt. Hierfür reisten zwölf Studierende der HU-B, begleitet von Prof. Dr. Henning Nuissl, nach Wien und erkundeten gemeinsam mit zehn Studierenden der Universität Wien, unter der Leitung von Prof. Dr. Kerstin Krellenberg und Dr. Julia Wesely, verschiedene Initiativen an den Schnittstellen von Klimawandelanpassung und Demokratie.

Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie urbane Transformationen nicht nur nachhaltig und angepasst an den Klimawandel, sondern auch demokratisch legitimiert und gestaltet werden können. Weiters versuchte diese Exkursion vergleichende Reflexionen zwischen Berlin und Wien anzustoßen, welche im zweiten Teil (im Juli in Berlin) weiter vertieft werden. Sowohl die Universität Wien als auch die HU-B sind Mitglied der Circle U.-Allianz, einem Zusammenschluss aus neun europäischen Universitäten, die es sich zum Ziel gesetzt haben, kooperativ unter anderem zu den Themen Klima, Demokratie und globale Gesundheit zu lehren und zu forschen. In diesem Rahmen wurde das Exkursionsteam von Aileen Pohl unterstützt und begleitet, um dieses innovative Exkursionsformat zu dokumentieren und zu evaluieren.

Die Studierenden aus Berlin & Wien © Kerstin Krellenberg

Die Exkursion wurde in fünf Themenbereichen durchgeführt, welche jeweils an einem Halbtag von Studierendengruppen gestaltet wurden:

  1. Umweltgerechtigkeit und klimagerechte Stadt (Astrid Pohl, Clemens Jellmair)
  2. Direkte Demokratie (Piotr Jantos, Matthias Altmann)
  3. Bürger*innenbeteiligung (Jakob Kühnberger, Christoph Kaiser)
  4. Taktischer Urbanismus (Marie Aglas, Hanna Eckel)
  5. Skalare Dimensionen (Áron Horváth, Albert Pranger)

Außerdem nahmen die Studierenden am Circle U. Climate Day der Universität Wien teil. Und informierten sich rund um das Thema partizipative Klimagerechtigkeit am Marktplatz der Initiativen, im Rahmen von Flashtalks sowie einer Podiumsdiskussion.

Den Auftakt der Exkursion bildete ein (Wahrnehmungs-)Spaziergang durch den 20. Bezirk, Brigittenau, wo das Thema Klimagerechtigkeit anhand von Faktoren wie Lärm und Verkehrsberuhigung sowie Zugang zu Grünflächen im dicht bebauten Raum erklärt wurde. Dabei gab es Einblicke in einen grünen Innenhof eines Gemeindebaus, eine Fassadenbegrünung in der Hannovergasse sowie die Umgestaltung der nun verkehrsberuhigten Treustraße mit Begrünung und Sitzmöglichkeiten. Der Spaziergang endete mit einem Experten-Input durch Simon Büchler von der Gebietsbetreuung, welcher den Studierenden unter anderem das Projekt “Gartln ums Eck” in der Jägerstraße vorstellte. Zum Abschluss des Themas führten uns die Studierenden in die neu umgestaltete Pelzgasse im 15. Bezirk sowie auf das Dach des IKEA Westbahnhof, wo – bei schönem Ausblick auf Wien – Schnittstellen und Spannungen zwischen öffentlichem und privatem Raum in der Klimawandelanpassung diskutiert wurden.

© Kerstin Krellenberg
© Kerstin Krellenberg
Bild4
Bild5

Die zweite Studierendengruppe organisierte ein Gespräch mit Jana Plöchl von der BOKU University, die den Prozess des österreichischen Klimarats sozialwissenschaftlich begleitete. In der Diskussion um deliberative Demokratie waren vor allem Moderationsmethoden, die Bedeutung eines respektvollen Diskussionsklimas, das Auswahlverfahren der Teilnehmer*innen und das Thema Inklusion für die Studierenden von Interesse. Die Expertin betonte, dass viele Teilnehmende sich durch den Klimarat erstmals politisch wirksam fühlten, es aber auch Enttäuschung über fehlende Umsetzung der erarbeiteten Ergebnisse gab.

Im Anschluss vertieften die Wiener Studierenden das Thema mit einem Planspiel zum kontroversiellen Beispiel des Lobautunnels. Dafür nahmen die Berliner Studierenden verschiedene Perspektiven ein und entwickelten Argumente für oder gegen eine Volksabstimmung zum  Bau des Lobautunnels.

© Kerstin Krellenberg
Bild7
Bild8

Der zweite Exkursionstag begann mit einem Spaziergang durch den 15. Bezirk.  Ziel waren die laufende Umgestaltung der klimafitten Äußeren Mariahilferstraße und eine Grätzloase in der Reindorfgasse, gefolgt von einem Besuch in der Gebietsbetreuung. Dort berichteten Bea Vogler-Kautz und Daniel Dutkowski von ihrer Arbeit an der Schnittstelle von Nachbarschaft, Verwaltung und Alltagssorgen der Bewohner*innen. Besonders interessant war dabei – auf Nachfrage durch die Studierenden – die Erkenntnis, dass Klimaanpassung bisher selten ein explizites Thema ist, das von der Gebietsbetreuung in der täglichen Arbeit direkt adressiert wird. Vielmehr manifestiert es sich in konkreten Problemlagen der Bürger*innen wie: “Es ist zu heiß in meiner Wohnung” oder “Ich finde keinen schattigen Platz zum Sitzen.” Danach ging es in den Dadlerpark, wo urbane Gemeinschaftsgärten, Aufenthaltsqualität und Nachbarschaft aufeinandertreffen. Die Studierenden stellten dort das Wiener Klimateam als demokratisches Beteiligungsformat vor, welches Bürger*innen in die Mitgestaltung von klimarelevanten Projekten einbindet. Daraufhin entwickelten die Berliner Studierenden eigene Projektideen zur Klimaanpassung im Bezirk. Bei der gemeinsamen Abstimmung überzeugte besonders die Idee, die Reindorfgasse an Wochenenden in eine verkehrsberuhigte Marktzone zu verwandeln.

© Kerstin Krellenberg
© Kerstin Krellenberg
© Kerstin Krellenberg
© Kerstin Krellenberg
© Julia Wesely
© Julia Wesely

Das Supergrätzl, ein Pilotprojekt der Stadt Wien, ist ein gutes Beispiel für taktischen Urbanismus. Mit Audioguide und E-Book erhielten die Berliner Studierenden einen Einblick in den Projektablauf sowie den Partizipationsprozess der vergangenen Jahre. Anschließend wurden die Studierenden angeleitet, das Supergrätzl aus der Perspektive verschiedener Interessensgruppen (Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Senior*innen) zu begehen, eigene Verbesserungsvorschläge zu entwickeln, und diese mit Straßenkreide zu verorten. Trotz verschiedener Schwerpunkte zeigte sich beim Rundgang durch das Grätzl eine gemeinsame und generationenübergreifende Vision: Ein öffentlicher Raum, der Bewegung, Begegnung und Hitzeschutz durch Elemente wie Begrünung, Wasserspender und konsumfreie Aufenthaltsorte vereint. Der Tag endete im Erlachpark mit der gemeinsamen Diskussion der Frage: Wer nutzt den neu gestalteten Raum und wer möglicherweise nicht (mehr)? Es wurde deutlich, dass Klimaanpassungen und Umgestaltungen des öffentlichen Raumes auch zu Verdrängungsprozessen führen können. Um dies zu vermeiden, sollte auch Raum für Selbstaneignung erhalten bleiben, um wandelnde Bedürfnisse und Nutzungen durch die Bewohner*innen vor Ort zu ermöglichen.

© Kerstin Krellenberg
© Kerstin Krellenberg
© Julia Wesely
© Julia Wesely
© Kerstin Krellenberg
© Kerstin Krellenberg

Am letzten Exkursionstag besuchte die Gruppe das Büro von Urban Innovation Vienna (UIV), wo Petra Schöfmann das Projekt Raus aus Gas erklärte und Fragen zu dessen Umsetzung und Begleitung seitens der UIV beantwortete. Das Gespräch verdeutlichte, dass die aktuelle Rechtslage sowie finanzielle Rücklagen zentrale Hürden bei der Dekarbonisierung im Gebäudesektor sind. Für mehr Struktur bei der Umsetzung wurde der Wiener Wärmeplan entwickelt, welcher festlegt, wo und wann Gebiete an das Fernwärmenetz angeschlossen werden, sodass „unnötige“ Baustellen vermieden bzw. integriertes Planen gefördert wird. Frau Schöfmann betonte, dass zentrale Lösungen langfristig effizienter als viele individuelle Einzellösungen seien.

© Julia Wesely
© Julia Wesely
© Kerstin Krellenberg,
© Kerstin Krellenberg,

Dieser erste Teil der gemeinsamen Exkursion in Wien bot vielfältige Einblicke in die Herausforderungen und Potenziale partizipativer Stadtgestaltung im Kontext der Klimakrise. Die Beiträge der Studierenden haben wiederholt verdeutlicht, wie wichtig die Produktion von lokalem Wissen und demokratischen Aushandlungsprozessen ist. Einzelne Maßnahmen können zwar keine universellen Lösungen bieten, sie können jedoch zeigen, wie Klimaanpassung in Synergie mit sozialen Entwicklungen gestaltet werden kann. Klimagerechtigkeit entsteht dort, wo vielfältige Stimmen gehört, Bedürfnisse ernst genommen werden und urbane Räume offen für Selbstaneignung bleiben.

© Kerstin Krellenberg
© Kerstin Krellenberg
image002
image003

Die Abschlussreflexion der Studierenden zeigte, dass Wien Parallelen zu Initiativen in Berlin aufweist, beispielsweise in der Gestaltung von verkehrsberuhigten Kiezblöcken, die gleichzeitig die Nachbarschaftsbeziehungen fördern. Jedoch wurden auch Unterschiede in der Organisation der lokalen Verwaltung, den Gesetzeslagen, und dem Engagement der Bürger*innen erkannt, welche die Gruppen im Juli in Berlin weiter vertiefen werden.

Text: Aileen Pohl, 2025